Krieg - Gewalt
 
 
ÖL auf Malpappe 40 cm x 50 cm
Januar 1974


Dieses surrealistische Werk ist eines meiner Lieblingsbilder und entstand zufällig. Ein Stück einfache Malpappe diente mir dazu, Ölfarbenreste von der Palette nach Abschluss eines Werks darauf zu spachteln, wodurch ein buntes, zufälliges Farbmuster entstand. Durch das Spachteln resultierte ein Flächenrelief, das insbesondere im Zentrum der Darstellung zu auffälligen „Narben“ führt, welche das später entstandene Gesicht zeichnen.

Damals beschäftigte ich mich mit der Form und Dar-stellung des menschlichen Ohrs und so nahm ich mir die linke untere Ecke des Malkartons vor, welche noch weiß war, trug mit Bleistift die Umrisse eines Ohrs auf und entwickelte mit Ölfarbe das Ohrrelief. Somit war ein singuläres Ohr in der linken unteren Ecke entstanden. In der Bildmitte befanden sich die gespachtelten Farbreste durch welche zu einem späteren Zeitpunkt - das Ohr war bereits getrocknet - für mich ein Gesicht assoziiert wurde, zu welchem das Ohr passen könnte.




Und so entstand im Zentrum des Bildes ein ikonenhaftes Gesicht mit kalten, in die Ferne gerichteten Augen, welche kein Leben zeigen, sondern vielmehr kalt und traurig in eine andere Welt blicken.




Die Tatsache, dass das Ohr in der linken unteren Ecke war, bedeutete dass es abgeschlagen, bzw. abgeschnitten worden war. Dieses Symbol der Gewalt ließ mich an eine in der Bibel beschriebene Geschichte denken, in der Petrus dem Knecht des Hohenpriesters mit Namen Malchus mit dem Schwert das rechte Ohr abschlug und anschließend Jesus verleugnete. (Joh. 18:10)

Daraus resultierte auch die Bildgestaltung als Ikone mit einem Gesicht im Zentrum der Darstellung.

Außerdem erinnerte ich mich an ein Selbstbildnis Vincent van Goghs aus dem Jahr 1889 „Selbstporträt mit abgeschnittenem Ohr“, bei dem der Künstler einen Ohrverband trägt, nachdem er sich in einem Anfall (Halluzinationen?) selbst das Ohr abgetrennt haben soll. Ob es das rechte oder linke Ohr war, ist durch das Bild nicht eindeutig feststellbar. Sollte sich der Künstler von seinem Spiegelbild porträtiert haben, so wäre das Portrait spiegelverkehrt und es wäre sein linkes Ohr, anderenfalls wäre es das rechte.

Bei der Entwicklung des Gesichtes konnte ich mich nicht entscheiden, ob das Opfer der Gewalt oder der Täter dargestellt werden sollte, so kam es zu einer Mischung verschiedener Merkmale in einem Gesicht und es entstand diese surreale, symbolistische Darstellung:




Angedeutet sind die Gesichtszüge von zwei großen Kriegs- und Gewaltbringern in Europa. Die Gesichtszüge eines Napoleons spiegeln sich im Bereich der markanten Kinnpartie wider, auch der gerade Nasenrücken und die Haare erinnern an Portraits des Feldherrn.




Die gerade Nasenlinie und die langovale Gesichtsform Hitlers finden sich ebenfalls im Gesicht wieder. Auf das Hitlerbärtchen habe ich ganz bewusst verzichtet, da dies zu markant und zu eindeutig gewesen wäre und das Gesamtportrait zu einseitig geworden wäre, das Ikonenhafte wäre zerstört worden. Es wurde das Philtrum (in der Anatomie Bezeichnung für die vertikale Rinne, die sich von der Nase über die Mitte der Oberlippe herabzieht) überdeutlich ausgestaltet, wodurch die Umrisse eines Hitlerbarts angedeutet werden.


Die fahle Hautfarbe, die dunklen Augenhöhlen, das kraftlose, amimische Gesicht charakterisieren das leidende Opfer, dem große Gewalt angetan wurde. Die Augen sind leer und leblos, blicken in die Ferne. Der schmallippige Mund ist unverkrampft, kein Schrei, keine schmerzverzerrte Muskulatur ist auszumachen. Blicken die Augen noch oder ist der Mensch bereits tot und seine Augen gebrochen? Über die rechte Gesichtshälfte fließt viel Blut, es rinnt aus der klaffenden Wunde nach Verlust des Ohrs und aus einem noch größeren Defekt der Schädelkalotte. Das Blut fließt in die Erde und durchtränkt die Erde, im Zentrum liegt das abgetrennte Ohr.


Durch das Loch im Gehirnschädel ist ein brennendes Haus in lodernden Flammen zu sehen, ansonsten ist dort Leere. Sämtliche Erinnerungen sind verloren. Dieses nahezu ausgebrannte, unwiderruflich zerstörte Haus symbolisiert den Verlust der Geborgenheit, der Familie, des Elternhauses, Dieser Mensch hat durch den Krieg alles verloren.


Flammen finden sich kammartig auf dem Kopf des Opfers, das symbo-lisch verbrennt, zugrunde geht.

Das surrealistische Bild Salvadore Dalis mit dem Titel „Giraffe en Feu“ mit der skurilen Darstellung einer brennenden Giraffe im Hintergrund  hat mich bereits als Kind beim Durchblättern und Schmökern eines Kunstlexikons meines Vaters fasziniert und in seinen Bann gezogen, Dali schuf das Bild 1936/37 im Exil während des spanischen  Bürgerkriegs. Der Flammenkamm war in Erinnerung an dieses Bild unvermeidbar.


Rechts im Vordergrund ist eine Hand mit gekrümmten Fingern dargestellt, die Hand als Symbol für die Taten, das Handeln des Menschen. Eine zur Faust geballte Hand als Ausdruck der Gewalt ist es nicht oder nicht mehr. Es ist die sich öffnende, kraftlose Hand eines Sterbenden.




Hinter dem Kopf ist ein Stahlhelm angedeutet, welcher den Menschen als gefallenen Soldaten charakterisiert. Dieser Stahlhelm ist im Kampf vom Kopf gefallen oder wurde dem tödlich verletzten Soldaten von seinen Kameraden abgenommen. Der Helm liegt auf der Erde und wird nicht mehr gebraucht, der Soldat hat seinen Sinn erfüllt - er ist fürs Vaterland gestorben.



Im Hintergrund sind Waffen und Zeichen der Zerstörung des Krieges dargestellt:




Ein Panzerschlachtfeld mit einem brennenden Panzer,







ein Atompilz, wie er nach Abwurf einer Atombombe auftritt, wie in Hiroschima und Nagasaki durch die Amerikaner am 6. August 1945 geschehen,
 





                                       und brennende Häuser.






Ein reales Thema seit Menschengedenken „Krieg - Gewalt“ sollte durch dieses Bild dargestellt werden. Es erschien die surrealistische Darstellung die geeignetste Form, um die Phantasie des Betrachters zu beflügeln und ihn mit Bildern und Symbolen zum Nachdenken anzuregen.

Auch die Darstellung als Ikone, Darstellungsform in der religiösen Kunst, wurde bewusst gewählt: Wie viele brutale Glaubenskriege wurden im Namen der Religion geführt? Und wie viele Menschen haben sich im Krieg, in der Gewalt, in aussichtsloser Not an ihren Glauben als letzte Hoffnung geklammert und gebetet?

Auch für mich im Rückblick ist interessant, wie ich mich als 19-jähriger wenige Monate vor dem Abitur und ein Jahr vor dem Dienst bei der Bundeswehr in einer Sanitätseinheit mit diesem Thema auseinandersetzte.

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